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Jugendliche aus dem Muskepeer-Projekt diskutieren mit Fachleuten aus der Heimerziehung auf einer Fachtagung in Leipzig

Kinder und Jugendliche, die in Heimen und Wohngruppen der Jugendhilfe leben, haben Rechte! Es sind dies v.a. die Rechte, die alle anderen jungen Menschen auch haben (auf Unversehrtheit, auf Förderung, auf Bildung usw.). Darüber hinaus sind es für diese jungen Menschen vor allem die Rechte auf Beteiligung, die über akzeptable Hilfeformen, wirksame Hilfeverläufe und so wichtige Selbstwirksamkeitserfahrungen entscheiden.

Sieben junge Menschen, die selbst in der Heimerziehung leben und rund 90 Fachkräfte, die in der Heimerziehung arbeiten, trafen sich am 25.09.2015 an der HTWK Leipzig auf Einladung des Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V., um zahlreiche Fragen zu Kinderrechten in der Heimerziehung zu beraten: Wie kann es gelingen, dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte besser kennen? Wie wird die einzelne Jugendhilfeeinrichtung zu einem beteiligungsorientierten Ort? Wie kann das Machtgefälle zwischen Betreuenden und Betreuten abgemildert werden? Die Beispiele einer unwürdigen Erziehung in der Haasenburg und im Friesenhof sind uns vor Augen.

 

Den Kern der Veranstaltung bildeten die Berichte der jungen Menschen über ihre Beteiligungs- und Nicht-Beteiligungserfahrungen, über Hilfepläne ohne gute Vorbereitung, über Gespräche hinter ihrem Rücken, über nicht gewahrte Privatsphäre, über mangelnde Wertschätzung der eigenen Leistungen und viele andere Dimensionen mehr. Diese Jugendlichen haben mit sieben anderen Jugendlichen und vier Sozialarbeiter_innen in den letzten 11 Monaten in insgesamt sieben Wochenendseminaren über diese Erfahrungen gesprochen und eine Broschüre („Deine Rechte im Hilfeplanverfahren“) erarbeitet. Diese Broschüre und ein sogenanntes „Starterpaket“ mit vielen praktischen Dingen zum Einzug in eine Heimeinrichtung standen im Vordergrund des Fachtags. Ein Fachtag mit betroffenen Jugendlichen – eine neue Erfahrung für beide Seiten. Die jungen Menschen haben sich sehr gut eingebracht: In einem Vortrag gemeinsam mit dem Projektverantwortlichen und in drei Workshops, in denen sie Rede und Antwort standen über ihre Erfahrungen.

Eingeleitet wurde der Fachtag nach der Begrüßung durch den Vereinsvorsitzenden Hartmut Mann (der die Bedeutung des Themas für die Jugendhilfe herausstellte) von einem Vortrag von Prof. Dr. Barbara Wolf (HS Mittweida) zur Wirksamkeit und Funktionalität von Beteiligung für eine lebensweltorientierte Jugendhilfe. Sehr praktisch und anschaulich stellte Berthold Grenz die Erfahrungen aus der Beteiligungspraxis des SOS-Kinderdorf Zwickau vor. Zwischendrin der Vortrag der Jugendlichen, gemeinsam mit dem Projektkoordinator. So war der Vormittag angereichert mit Vorträgen und ausreichend Stoff für die Diskussion in den Arbeitsgruppen am Nachmittag: Wie sehen Jugendliche ihre Beteiligungsmöglichkeiten im Hilfeplanverfahren und in der Heimerziehung? Welche Erfahrungen hat eine Wohngruppe mit Beteiligung? Welche Sicht nimmt der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes ein? Was tun, wenn alles nicht klappt: Ombudschaft. Die Ergebnisse trug eine Podiumsdiskussion unter Leitung von Prof. Dr. Jörg-A. Weber (HTWK Leipzig) zusammen.


Der wichtigste Ertrag des Tages ist (wie so häufig) der Erfahrungsaustausch für die Kolleg_innen gewesen – so ist es uns zurückgemeldet worden. Angeregt wurde, im kommenden Jahr ein Seminar in Leipzig für Kolleg_innen aus der Heimerziehung durchzuführen. Viel zu selten scheint es Foren zu geben, auf denen sich Kolleg_innen außerhalb der eigenen Einrichtung austauschen und voneinander lernen und profitieren können. Und viel zu selten auch scheint es Orte zu geben, an denen Kinder und Jugendliche aus der Heimerziehung selbst zu Wort kommen, auch das wurde deutlich.


Für den Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. ist ein wesentliches Ergebnis, dass sich auf der Fachtagung eine Gruppe von Menschen gefunden hat, die daran arbeiten will, dass es in absehbarer Zeit eine Ombudstelle für die Kinder- und Jugendhilfe in Leipzig gibt. Dass es so etwas braucht, ist nicht in Frage gestellt worden. Eher schon, dass dies überfällig wäre. Denn es geht darum, die Rechte von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in der Jugendhilfe zu stärken. Auf dem Weg dorthin und auch in ihr selbst.